Staatssoziologie

Staatssoziologie
Staats|soziologie,
 
Teilgebiet der politischen Soziologie, das sich mit den gesellschaftlichen Voraussetzungen bestehender Staatsformen und staatsähnlicher Gebilde sowie mit Verfassungen und staatlichen Handlungen befasst; ebenso mit den Wechselbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft und mit den Funktionen staatlicher Organisation für die Gesellschaft. Während die ältere, im Wesentlichen durch Rechtswissenschaft und politische Philosophie geprägte Staatslehre, aus der sich die Staatssoziologie im Laufe des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, den Staat als abstrakte Idee, als religiös oder sonstwie prinzipiell begründbare Leitvorstellung oder als rechtlich-politische Konstruktion verstand (und demzufolge verschiedene Staatsmodelle ableiten konnte), fasst die heutige Staatssoziologie den Staat als historisch, sozial, ökonomisch, politisch und rechtlich konkretes Gebilde (als »menschlich-gesellschaftliche Lebensform«) auf, dessen tatsächliche Gestalt (mit Funktionen und Fehlern) als Ergebnis (meist Kompromiss) unterschiedlicher sozialer Entwicklungen, Interessenauseinandersetzungen, politische Kräftekonstellationen und weiterer historischer Ereignisse verstanden wird. Neben Gedanken von A. de Tocqueville, G. W. F. Hegel und L. von Stein haben besonders die Arbeiten M. Webers, der den Staat als eine Einheit auffasste, die durch ideelle, rechtliche und empirisch-faktische Elemente bestimmt ist, die Entwicklung der Staatssoziologie zu einer eigenständigen Disziplin ab 1920 bestimmt (H. Kelsen; Otto Stammer, * 1900, ✝ 1978; E. Forsthoff). Zu den zentralen Arbeitsfeldern der Staatssoziologie gehört die vergleichende Untersuchung der in staatlichen Organisationsprogrammen (v. a. Verfassungen) festgelegten Vorschriften und Normen mit ihren konkreten sozialen Erscheinungen einschließlich ihrer historischen Voraussetzungen. Diskrepanzen zwischen Wirklichkeit und Norm werden danach nicht als Abweichungen von bestimmten Idealen verworfen, sondern im Zusammenhang sozialer Prozesse untersucht. So spielt besonders die Betrachtung des Staates unter der Perspektive einer bestimmten Aufgabenstellung oder Funktion eine wichtige Rolle (z. B. Sozial-, Rechts-, Wohlfahrts-, Parteien-, Verbände-, Verwaltungsstaat). Schließlich fallen in das Gebiet der Staatssoziologie auch Fragen nach dem Zusammenspiel von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Strukturen, also nach der Bedeutung von Eigentumsverteilung, Marktorganisation und Produktionsformen für die staatliche Organisation und nach der Beziehung dieser Faktoren zu internationalen Entwicklungen.
 
 
T. Eschenburg: Staat u. Gesellschaft in Dtl. (31965);
 M. Weber: S. (21966);
 O. Kirchheimer: Funktionen des Staats u. der Verf. (1972);
 R. Dahrendorf: Gesellschaft u. Demokratie in Dtl. (51977);
 
Die Eigenart der Institutionen. Zum Profil polit. Institutionentheorie, hg. v. G. Göhler (1994).

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Staats|so|zi|o|lo|gie, die: Teilgebiet der politischen Soziologie, das sich mit den gesellschaftlichen Voraussetzungen bestehender Staatsformen u. staatsähnlicher Gebilde sowie mit Verfassungen u. staatlichen Handlungen befasst.

Universal-Lexikon. 2012.

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